Hallo,
nach längerem stillem Mitlesen habe ich mich hier registriert, um einige Beobachtungen zur Diskussion zu stellen, die sich aus meiner bisherigen Lebenserfahrung ergeben haben. Zur Einleitung erst einmal einige Informationen zu mir:
Ich bin 25 Jahre alt, gelte als gebildet, eloquent, höflich, rücksichtsvoll und gutaussehend - und habe in meinem gesamten Leben außerhalb des Bordells noch nie einen anderen Menschen berühren können und war auch noch nie auch nur entfernt in der Nähe einer Situation, in der sich so etwas hätte ergeben können. Keine Umarmung, kein Kuss, geschweige denn ein explizit sexuelles Erlebnis, kurzum: Ich befinde mich auf dem durchschnittlichen sexuellen Erfahrungsstand eines 13-Jährigen. Seit dem Erwachen meines Sexualtriebes bzw. des Triebes nach körperlicher Nähe und Intimität, also seit gut 13 Jahren, lebe ich permanent in einem Zustand der Frustration, Zurückweisung, Isolation, Scham, des Neides und der Verzweiflung, und nach menschlichem Ermessen ist nicht davon auszugehen, dass sich an diesem Zustand jemals etwas ändern wird - und selbst wenn, dürfte der Umstand, dass meine gesamte Jugend an mir vorübergestrichen ist, ohne dass es darin einen einzigen Moment der Lebenslust, der Erotik, der Liebe und der Geborgenheit und Intimität gegeben hätte, kurz: dass ich alle Bürden des Erwachsenwerdens ohne eine einzige der Freuden des Erwachsenwerdens erlebt habe, wohl dauerhaft irreparable psychische Schäden hinterlassen. Wie Houellebecq es so schön formulierte: Ich werde wohl niemals über die Jugendlieben hinwegkommen, die ich niemals hatte.
Dabei ist es durchaus nicht der sexuelle Akt selbst, der mir so besonders fehlt - meine Libido ist nicht übermäßig stark, und ich glaube, dass es mir nicht viel ausmachen würde, mein gesamtes Leben ohne Sex zu verbringen, solange es darin Intimität, Nähe und Erotik in einem weitergefassten Sinne gäbe. Was mich psychisch langsam, aber sicher zerrüttet, sind zwei Dinge: Erstens das demonstrative Ausgestoßenwerden aus der menschlichen Gesellschaft, das sich in restloser sexueller Zurückweisung stärker manifestiert als in irgendeinem anderen Vorgang - ich bezweifle, dass ein Mörder oder Terrorist jemals so deutlich das Gefühl haben kann, ein Outlaw zu sein als ein Mensch, der - wie ich - jedesmal, wenn er den Drang nach der Berührung eines anderen Körpers nicht mehr aushält, im Bordell 50-100 Euro Schadensersatz für die Zumutung bezahlen muss, von so etwas berührt zu werden. Zweitens ist die Sehnsucht nach emotionaler Wertschätzung, nach Körperkontakt, nach Intimität, kurz nach Liebe so stark, dass man, wenn diese Sehnsucht dauerhaft enttäuscht wird und es auch keinerlei realistische Aussicht auf spätere Verwirklichung gibt, irgendwann Entzugssymptome entwickelt, die denen eines Drogenentzuges wohl kaum nachstehen, bis hin zu psychosomatischen Schäden: Manchmal ist die unbefriedigte und unbefriedigbare Sehnsucht danach, einen anderen Menschen in den Arm zu nehmen, jemandem seine Zuneigung auszudrücken, jemanden zu küssen so stark, dass ich Anfälle von Schüttelfrost, Nervenzuckungen, Schlaflosigkeit, Fieber und Weinkrämpfen bekomme. Ich habe meinen Wilhelm Reich gut genug gelesen, um zu wissen, dass erzwungener Verzicht auf Sexualität und Erotik die wohl stärkste psychisch und charakterlich deformierende und zerstörende Kraft sind, der ein Mensch emotional ausgesetzt sein kann - nur: Diese Erkenntnis ist nicht sonderlich wertvoll, wenn es keine Möglichkeit gibt, dem abzuhelfen.
Das einzige mir offenstehende Mittel einer wenigstens kurzfristigen Linderung stellt die Prostitution dar - an dieser Stelle ein paar Bemerkungen zu diesem kontroversen Thema. In der öffentlichen Diskussion über das Verbot von Prostitution in immer mehr europäischen Staaten von Schweden bis - jüngst - Frankreich gewinnt man leicht den Eindruck, die Prostitution existiere, weil die sie in Anspruch nehmenden Männer diese Form von Sexualität besonders schätzten. Sehr prägnant drückte dies in Frankreich angesichts der dortigen Debatte um die Kriminalisierung von Prostitution die Sozialisting Danielle Bousquet aus: "Es geht darum, den Bürgern eine Beziehung zwischen Männern und Frauen beizubringen, die auf Gleichheit und Respekt beruht". Aus Perspektive der Prostitutionsgegner besteht der Konflikt also darin, dass Bordellkunden den Bordellbesuch einer liebe- und respektvollen Sexualbeziehung vorziehen. Aha. Nun, natürlich kann ich nicht für die Gesamtheit aller Bordellbesucher sprechen, aber ich gehe doch davon aus, dass ein erheblicher, wenn nicht der größte Teil von ihnen so wie ich ins Bordell geht, weil sie ausschließlich die Wahl zwischen überhaupt keiner Sexualität und Sexualität in einer nicht besonders schönen Form haben. Und in der Tat - die Welt der Prostitution ist wirklich nicht schön, sie stößt mich zutiefst ab, und jedesmal, wenn ich wieder dort war, überkommt mich ein Gefühl des Ekels. Aber irgendwann, nach Jahren und Jahren des Misserfolgs, der Zurückweisung und der Frustration ist man bereit, einiges zu schlucken, um, sei es auf eine noch so unangenehme Art, wenigstens einmal für eine halbe Stunde das Gefühl zu haben, ein Mensch zu sein und keine Monstrosität. Trotz allen Widerwillens und trotz des ungemein demütigenden Eingeständnisses, nun also offiziell zu den 1-2% der am unattraktivsten und abstoßendsten empfundenen Männer zu gehören, die etwas, was für jeden sonst eine Selbstverständlichkeit darstellt, nur gegen Bezahlung bekommen können - es war bei den ersten malen ein phantastisches Gefühl, zu sehen, dass eine Frau an meinem nackten Körper offensichtlich nichts Lächerliches oder Abstoßendes sieht, dass es sie nicht ekelt, von mir berührt zu werden, dass sie offensichtlich nichts Albernes daran sieht, dass ich ein sexuelles Wesen bin.
Der Bordellbesuch ist eine von mir alle 1-2 Monate vollzogene therapeutische Notmaßnahme, nicht gerade schön, aber psychisch überlebensnotwendig. Dabei spielt der Geschlechtsverkehr selbst eine völlig sekundäre Rolle, ich bezahle oft genug die ganze Zeit, um nur einmal eine halbe Stunde die Wärme eines anderen Körpers zu spüren, die wundervolle Beschaffenheit weiblicher Haut zu fühlen und zu sehen, dass man nicht darüber lacht, dass ich erotische Bedürfnisse habe. Sollte sich das Verbot von Prostitution europaweit durchsetzen, bleibt mir wohl keine Option mehr außer dem Strick. Die nächsten 50 Jahre ohne eine einzige Körperberührung zu verbringen und mit Haft bedroht zu werden, weil ich leider nicht asexuell bin, wäre mehr, als ich verkraften könnte.
Eben das - dass es anderen offensichtlich unmöglich ist, mich als sexuelles Wesen wahrzunehmen - scheint der Kern des Problems zu sein: Meiner bisherigen Lebenserfahrung nach kann ich von Frauen nicht als erotisches Wesen wahrgenommen werden, weil ich die Forderungen der Emanzipation an einen Mann in zu starkem Maße erfülle:
-Ich kann nicht "flirten", einerseits wegen extremer Introversion und kommunikativer Unbeholfenheit, andererseits, weil ich den ganzen Vorgang des "Flirtens" mit seiner sexistischen Konzeption, seiner Verlogenheit, seiner Unaufrichtigkeit und Schleimigkeit verabscheue und dabei das Gefühl hätte, sowohl mich als auch meinen Flirtpartner zu erniedrigen.
-Ich kann kein sexuelles Interesse signalisieren, wenn ich nicht sicher bin, dass es erwünscht wäre - also nie. Auch das teilweise wegen meiner kommunikativen Unfähigkeit und Steife, zum anderen, weil ich es nicht über mich bringen würde, jemanden in eine Situation zu bringen, die als aufdringlich oder belästigend empfunden werden könnte.
-Ich beschäftige mich intensiv mit Gendertheorie und neige dabei besonders Judith Butler zu, indem ich Geschlechter nicht als Naturgegebenheiten, sondern als soziale Konstrukte betrachte und so etwas wie männliche oder weibliche Identität lächerlich finde. So etwas wie eine "männliche Identität" habe ich nicht und strebe ich nicht an, im Gegenteil finde ich so ziemlich alles abstoßend, was üblicherweise als "maskulin" klassifiziert wird und würde es bei weitem vorgezogen haben, als physische Frau geboren worden zu sein, ohne dass ich mich allerdings als transsexuell bezeichnen könnte (Denn Transsexualität ist ja selbst die krasseste überhaupt denkbare Verinnerlichung sexistischer Stereotype, indem sie annimmt, dass bestimmte Charaktereigenschaften mit einem bestimmten biologischen Geschlecht verbunden sein sollten und bspw. ein physischer Mann mit betont "femininen" Eigenschaften sich "im falschen Körper" befinde).
-Aus der Dekonstruktion sexistischer Stereotype und Rollenmodelle folgt, dass ich die monogame Ideologie und die darauf basierende monogame Paarbeziehung als sexistisch, menschenverachtend und ethisch abstoßend, als das ärgste denkbare Gegenteil von Liebe, Achtung und Respekt betrachte.
-Die gesamte typische Porno-Ästhetik ekelt mich an. Ich finde Jeans und Schlabberpullover hundertmal erotischer als Dessous und High-Heels, kleine Brüste hundertmal erotischer als Silikonballons, ein Gesicht ohne Make-Up hundertmal erotischer als ein geschminktes und kaum etwas deerotisierender als den sterilen, haarfreien Kinderkörper, der vom Mainstream-Sexualgeschmack propagiert wird.
Alles in allem zeige ich also ziemlich genau die Einstellungen und Verhaltensweisen, die nach emanzipatorischer Logik von einem biologischen "Mann" zu erwarten sind (Obwohl ich, siehe oben, Geschlechter als Konstrukte betrachte, werde ich im Verlauf des Textes fortfahren, weiterhin von "Männern" und "Frauen" zu sprechen, da ihre Konstruktion noch so wirksam ist, dass sie nahezu wie Naturgegebenheiten wirken) - humorigerweise scheinen aber exakt diese Eigenschaften dazu zu führen, dass es für mich keinerlei Möglichkeiten gibt, mein Bedürfnis nach Sexualität und Erotik anders zu befriedigen als ausgerechnet im patriarchalischen Bollwerk Bordell, denn offensichtlich kann nahezu keine Frau einen biologischen Mann, der es geschafft hat, seine Identität als "Mann" tatsächlich zu überwinden, in erotischem Sinne wahrnehmen. Ich wiederhole es: In 25 Jahren war ich bisher in exakt 0 Situationen, in denen mir auch nicht der leiseste Hauch erotischen Interesses entgegengebracht worden wäre. Umgekehrt handelt es sich bei ausnahmslos allen mir bekannten biologischen Männern mit einem erfüllten Sexualleben um solche, die sich ziemlich exakt so verhalten wie ein stumpfsinniger, vollkommen unreflektierter Macho der Vor-68er-Ära: Laut, dominant, aggressiv, arrogant, aufdringlich. Und das keineswegs in irgendeinem Großraumdisco-Milieu, sondern durchweg unter linken bis linksradikalen Akademikern aus geisteswissenschaftlichen Studiengängen. Der sexuell erfolgreichste Mann, den ich in linksradikal-studentischem Milieu kenne, betet zwar antisexistische Parolen auf theoretischer Ebene nach, fasste seine private Lebensmaxime allerdings in dem schönen Satz zusammen: "Mit Männern diskutiere ich, mit Frauen ficke ich." Auf jedem linken Kongress, nach jeder studentischen Diskussionsrunde ist dasselbe faszinierende Schauspiel zu beobachten: Die anwesenden Frauen hören zustimmend den theoretischen Beiträgen zu Antisexismus und Geschlechterdekonstruktion zu und landen am Abend mit den virilsten, dominantesten, kraftstrotzendsten Alphamännchen der Runde im Bett.
Ich hingegen werde in den meisten Fällen generell als asexuell wahrgenommen, manchmal als verkappter Homosexueller (Wobei es natürlich grotesk ist, dass irgendjemand auf den Gedanken kommen kann, dass ich, sofern ich homosexuell wäre, irgendein Problem damit hätte), und wenn ich es tatsächlich, nach Zögern, Schweiß und Panikattacken, einmal schaffe, in noch so subtiler Form so etwas wie erotisches Interesse zu signalisieren, löst das durchweg tiefe Belustigung oder ebenso tiefes Befremden aus. Der Gedanke, mich als Sexualpartner in Erwägung zu ziehen, kommt allen Frauen, die ich bisher kennengelernt habe, ungefähr so grotesk vor wie der Gedanke, ihre Großmutter als Sexualpartner in Erwägung zu ziehen. Schließlich kommt es meistens aber erst gar nicht so weit, weil ich einerseits aufgrund meiner Gehemmtheit, andererseits aber auch, weil ich schlicht zu großen Respekt vor anderen habe, sie in eine sie eventuell belästigende und als unangenehm empfundene Situation zu bringen, den "ersten Schritt" nicht tun kann - und siehe da: An der Tatsache, dass zu praktisch 100% erwartet wird, dass "der Mann" aktiv zu sein, Initiative zu zeigen und den ersten Schritt zu machen habe, hat sich offensichtlich seit Kaiser Wilhelms Zeiten nicht das Geringste verändert. Emanzipation und Geschlechterdekonstruktion scheinen wie eine Wolke in einer rein theoretischen Parallelwelt vorübergezogen zu sein, ohne auf das reale Verhalten und die realen Erwartungshalten der Menschen auch nur den geringsten Einfluss ausgeübt zu haben.
Das Fazit nach 25 Jahren lautet unleugbar, dass ein Mensch, der das Unglück hatte, als sehr introvertiert und schüchterner heterosexueller "Mann" geboren zu werden, von Geburt an verdammt ist - verdammt zu einem Leben in Einsamkeit, Frustration, Demütigung und Zurückweisung, zu einem Leben ohne Liebe, ohne Erotik, ohne irgendetwas, das es lebenswert machen könnte. Unbeholfen und schüchtern zu sein sind offensichtlich Verbrechen, die zu einem effizienteren und vollständigeren Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft führen, als es irgendein Gewaltverbrechen könnte. Die Auflösung der Geschlechterrollen erweist sich als leere Überschrift und hohle Phrase, der kein realer Inhalt entspricht: Wer der gesellschaftlich konstruierten Erwartungshaltung an seine "Männlichkeit" nicht entspricht, ist heute ebenso verloren und ausgesiebt wie vor 100 Jahren.