Versuch einer Beantwortung der Frage
Ein stets wirksames "Rezept" gibt es kaum; ich mache es mir nun leicht und biete (kopiere) ein paar Absätze aus einem Liebesbrief, den ich einem Menschen, dessen positive Entwicklung mir am Herzen lag / liegt, geschrieben habe.
Vorweg, muß ich traurigerweise gestehen: er hat nichts geholfen - Erkenntnis allein ist eben zu wenig, um eine Änderung zu bewirken (z.B: mit dem Rauchen aufhören u.s.w.) ...
Manches Vernünftige zum Thema wurde ja von den Lesern schon gesagt.
Aber: Liebe / eine aufrichtige Beziehung kann auch ohne Sex bestehen!
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Ich versuche nun eine Zusammenfassung all des Gesagten in Schlagsätzen. Sie zwingt mich energisch auszuwählen und trotzdem möglichst genau zu formulieren, um das Entscheidende zu verdeutlichen. Das ist auch gut für mich.
VORAUSSETZUNGEN, um Liebesfähigkeit zu erlangen:
. 1) Alle Sinne öffnen; Fähigkeit, mit Muße in sich gehen zu können > keine Hast, das Denken steht dabei nicht im Mittelpunkt (Lauster). Meditation ist Entspannung und Geschehenlassen, ist eine umfassendere Art wahrzunehmen und zu lieben. (Das ist auch möglich ohne sündteure Guru- Kurse und ohne neunjährigen Indienaufenthalt ). In solchen Momenten des "inneren Schweigens" erkennt der Mensch die Fadenscheinigkeit von Gedankengängen und Illusionen, die ihn von von der Liebe abschneiden (Schellenbaum n. Pirandello 178).
. 2) Loslösung von A L L E N (! ! !) gesellschaftlichen, religiösen, wirtschaftlichen... Normen, Ideologien, Wertvorstellungen und Regeln > keine vom Verstand und den persönlichen Phantasien diktierten Bedingungen stellen, somit auch kein Umerziehen des Partners. Bereits an dieser zweiten Voraussetzung scheitern 95 Prozent aller Menschen! Es ist eben nicht so einfach, auch nur für einen Tag zu verwirklichen "Heute ... bin ich bereit, mich von allen negativen Glaubenssätzen zu befreien ... und lasse zu, daß ..." Erkenntnis "sich mir offenbart." (Hay 136f)
. 3) Psychische Gesundheit = spontane Verarbeitung all dessen, was im Moment geschieht (auch Angst), und zwar ohne Abwehrmechanismen > > verlangt ein gewisses Maß an Selbstbewußtsein / Vertrauen zu sich selbst und in den Augenblick, um die eigene Verletzlichkeit (beim Sich - Öffnen) sowie die totale Freiheit des Partners zu akzeptieren > keine Eifersucht (= kein Besitzanspruch!). Bange Fragen (King / Winehouse) diesbezüglich können zwar wunderschöne Kitsch- Liebeslieder hervorbringen, helfen aber gar nix.
. 4) Allein sein können, ohne sich verlassen und einsam zu fühlen (Lauster). Gemeint ist also nicht jenes Alleinsein, das beklemmt und isoliert, sondern die "Einsamkeit, die frei macht und verbindet", die "der Ursprung unserer Liebesfähigkeit" ist (Schellenbaum 169).
. 5) Positive Zuwendung ohne Erwartung von "Gegenliebe", Geist / Seele und Zärtlichkeit des Partners nicht begehren (Lauster)
P H A S E N einer Beziehung
. 1) "Appell an die Aufmerksamkeit ... meist aufgrund einer äußeren Einzelheit" (Allendy 93) mit anschließender positiver Zuwendung.
. 2) Zeit der Phantasien und Wunschvorstellungen. Diese deutliche Züge von Geisteskrankheit zeigende infantile Phase der Schwärmerei, der selbstauferlegten Einengung des Bewußtseins (Fixierung auf eine einzige Person!) und des mitunter tragischen Realitätsverlustes kann (selten vorkommend!) bei Menschen, die bereits ein bestimmtes Maß an Erkenntnis und Selbstvertrauen gewonnen haben, entfallen oder stark verkürzt sein.
Wichtigste Periode für die Schreiberlinge der Gattung "Liebesroman".
. 3) Der Wunsch nach Liebesfähigkeit entsteht aus dem Bedürfnis nach eigener Persönlichkeitsentfaltung und menschlicher Reifung, nicht wegen des erwarteten (der Eitelkeit schmeichelnden) "feedbacks".
. 4) (Baldige oder manchmal sehr späte) Erkenntnis: die Liebe eines Menschen ist nicht besitzbar und in der Liebe gibt es keine Garantie (Branigan), der Augenblick ist nicht festhaltbar, die Freiheit des Partners ist absolute Notwendigkeit, die Zweisamkeit ist keine Lösung des "Nichtalleinseinkönnen- Problems" ... ... daraus ergibt sich
die erste und einzige Krise und die > > >
. 5) Beendigung oder (selten !) Vertiefung der Beziehung von sich selbst aus dem Augenblick heraus und ohne Willenszwang (Lauster).
Einschub: die Phase der Verliebtheit.
Während dieser ist die Aussagekraft begeisterter Sager der verliebten Person natürlich weitgehend wertlos, wenn diese im zwangsneurotischen und körperlichen Ausnahmezustand der Verliebtheit angelegt wurden, wenn der Mensch blind und realitätsverweigernd ist, taub für die sachlichen Einwände seiner (mal angenommen: ihm wohlgesinnten) Eltern oder Freunde.
Seit geraumer Zeit schon ist ziemlich genau geklärt, wie der "Verliebtheits- Sex" abläuft, wie Oxytocyn, Phenylethylamin, Dopamine, Serotonin, Cortisol, Endorphine ... den armen gebeutelten Verliebten durchschütteln und die Wallungen und die berühmten "Schmetterlinge im Bauch" erzeugen (wie die Biochemie im Gehirn wirkt).
Zum Glück hat die Natur eine Art Sicherheitsbremse eingebaut: die (für Außenstehende oft lächerlich anmutende) Verliebtheitsperiode, während der die Opfer mit geschmeichelt von den Mundwinkeln herabtriefendem Lächeln verklärt herumrennen, ist nach paar Monaten bis längstens drei Jahren vorbei - gleichsam ein Selbstschutz, damit der betroffene Mensch nicht vollends verblödet. (Precht)
Verliebtheit und Liebe sind also ganz klar grundverschieden > die Liebe ist eben kein biochemisches Gefühl! Was nicht (noch nicht) geklärt ist: warum sind (zwar äußerst selten, aber doch) einige ganz wenige Menschen gegen die Verliebtheit immun, und warum gibt es diese Phase überhaupt!?
Voraussetzungen für den dauerhaften Bestand einer Beziehung.
(Desjardins: ich spreche jetzt nicht von der ... Liebe, die das Dasein einen Augenblick lang erhellt, aber nicht anhält.), zitiert nach dem Inder Swamiji Prajnanpad (Desjardins 167 - 190) Bemerkenswert: der Begriff "love" kommt kein einziges Mal vor!!
. 1) Feeling of companionship: es gibt jemanden, den ich gern an meiner Seite habe / mit dem ich gerne Erfahrungen und Erlebnisse teile, der mich versteht und in den ich mich hineinversetzen kann.
. 2) To be at ease: sich wohl / ungezwungen fühlen.
. 3) Two natures which are not too different - zwei Menschen, die in ihrem Wesen nicht zu verschieden sein sollten. Banales Beispiel: wenn ein Mann am liebsten alleine ist, lange Wanderungen in den Bergen und das Leben am Land und in der Natur bevorzugt, eine Frau dagegen in der "großen" Welt mit überkandidelten Klamotten, aufgemotztem "outfit", protzigen Diners und rauschenden Empfängen zuhause ist, dann sind sie sicher zu unterschiedlich. (Selbstverständlich kann Liebe zwischen solchen Menschen trotzdem entstehen!)
. 4) Complete trust and confidence (to trust in = glauben an, vertrauen auf): mein Partner kann Fehler machen, kann sich täuschen, kann sogar etwas tun, das mir momentan Schwierigkeiten bereitet, doch er wird mir nicht weh tun aus egoistischen Gründen.
. 5) Strong impulse to make the other sure and happy: man verspürt den starken Wunsch, zur positiven Entfaltung (der "psychophysischen Gesamtpersönlichkeit") des Partners beizutragen - KRASSER UNTERSCHIED zum Verlangen, mit Hilfe eines Partners glücklich zu werden / sein.
Wer ignoriert, daß allein die eigene Liebesfähigkeit entscheidend ist (daß das "positive feedback" des Partners zwar eine sehr angenehme Begleiterscheinung, aber nicht zwingend notwendig ist), der kommt dann eben zu so einem tragischen Fehlschluß wie "Liebe ohne Gegenliebe = Unglück". (Esten 182)
Erkenntnisse aus Befragungen und Reihenuntersuchungen (langjährige Beobachtungen) haben ergeben, daß die Partner am ehesten "zusammenpassen", wenn ähnliche Erwartungen ans Leben gestellt werden (darunter auch, wie eine Partnerschaft sein sollte), aber verschiedene Temperamente aufeinandertreffen. (Precht)
Q U E L L E N V E R Z E I C H N I S (betrifft NUR diesen kurzen kopierten Text):
Peter L A U S T E R:
"Die Liebe - Psychologie eines Phänomens", Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1982. (Verlag Econ, Düsseldorf / Wien 1980)
Peter S C H E L L E N B A U M:
"Die Wunde der Ungeliebten" - Blockierung und Verlebendigung der Liebe. Verlag dtv, München 2000 / 11
Louise L. H A Y:
"Liebe das Leben wie dich selbst", Verlag Heyne, München 1995
René A L L E N D Y:
"Die Liebe", Verlag Kindler, München (L` Amour 1942)
In augenmordender winziger Taschenbuchausgabe- Schrift gedruckter schon "alter", aber guter und nicht leicht zu lesender Beitrag zum Thema.
Laura BRANIGANhttp://www.youtube.com/watch?v=08ElVsuLNYs
Richard David P R E C H T: "Liebe. Ein unordentliches Gefühl", Goldmann, München 2009Eines der interessantesten Werke der letzten Jahre zum Thema.
Milan E S T E N von Funke:
"Liebe - das Jahrtausendmißverständnis", Verlag Erd, München 1992
Carol KING: "Will you still love me tomorrow" (AMY Winehouse http://www.youtube.com/watch?v=T-WuaPdaP3c&feature=related )