Über kaum ein Thema kursieren so viele Märchen und Mythen wie über die Sexualität. Oft enthalten die Geschichten zwar ein Körnchen Wahrheit, wesentlich häufiger jedoch sind sie das Ergebnis überaus reger Phantasie. Götz Kockott, Sexualwissenschaftler an der Technischen Universität München, Bereich Neurologie und Psychiatrie, nimmt die bekanntesten Sex-Sagen unter die Lupe.
G-PUNKT DER FRAU
Wer meint, dabei handle es sich sozusagen um einen roten Knopf, den der Mann nur drücken muss, um damit bei der Frau ein Orgasmus-Feuerwerk zu erzeugen, liegt falsch, so Götz Kockott. Doch es scheint wenigstens bei einigen Frauen in der Vagina-Schleimhaut eine Stelle zu geben, die besonders erogen ist. Doch viele andere verfügen wohl nicht über diese Zone. Es handelt sich also um eine individuelle Gegebenheit.
Das Thema G-Punkt wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Viele meinen, der Hot Spot sei eine neue Entdeckung. Dabei hatte der Gynäkologe Ernst Gräfenberg bereits in den 50er-Jahren diese überaus sensible Stelle in der weiblichen Vagina, nahe der Blase vermutet. Nach ihm wurde die Stelle G-Punkt getauft. Erst im letzten Jahrzehnt haben amerikanische Wissenschaftler dieses Thema wieder aufgewärmt.
Weitere hochsensible Punkte, die im Bereich der Schamlippen und im hintersten Teil der Vagina liegen sollen, bewertet der Experte ähnlich: Sicher dabei ist nur, dass sich die sensiblen Nervenendigungen vor allem an den Schamlippen und der Klitoris befinden in der Vagina selbst nur sehr wenige.
G-PUNKT DES MANNES
In Anlehnung an den vermeintlichen G-Punkt der Frau liest man jetzt auch manchmal vom G-Punkt des Mannes, der so genannten Prostatastimulation. Dabei handelt es sich um eine Reflexzone, die eigentlich vor allem für medizinische Untersuchungen wichtig ist, erklärt der Sexualexperte. Durch den Anus stimuliert der Arzt die Prostata. Dadurch schüttet der Körper sofort Prostatasekret aus, das dann getestet wird. Dass ein Mann dabei Lustgefühle entwickelt, ist äußerst selten. Für die meisten Männer ist das kein Thema, stellt er klar. Doch er macht auf eine andere Stelle bei Männern aufmerksam, die äußerst erogen ist: Der Damm, also der Bereich zwischen Hodensack und Anus. Für viele ist es äußerst angenehm, hier gestreichelt zu werden.
NOTFALL SCHEIDENKRAMPF
Ja, den so genannten Vaginismus gibt es, bestätigt Götz Kockott. Doch dass dabei das Paar derart zusammenhängt und nur noch die Feuerwehr es trennen kann, wie gerne kolportiert wird das gibt es nur bei Wölfen oder Hunden, nicht bei Menschen.
Oft ist ein traumatisches Erlebnis die Ursache für Vaginismus. Die Frau verkrampft dann immer vor dem Eindringen unbewusst die Muskeln am Scheideneingang, so dass eine Penetration unmöglich wird. Deshalb kann der Penis gar nicht in der Vagina gefangen sein, weil ihm nämlich der Krampf den Zugang verwehrt. Nach einiger Zeit, wenn sich die Frau entspannt, reagieren auch die Scheidenmuskeln wieder normal, verkrampfen sich jedoch sofort wieder, wenn wieder eine Penetration versucht wird. Eine Psychotherapie hilft auf Dauer, um die Verkrampfung zu lösen.
SEX-UNGLÜCK PENISBRUCH
Ist der Liebhaber zu ungestüm, kann der Penis beim Penetrieren brechen das zumindest behaupten manche Männer hinter vorgehaltener Hand. Sie meinen, sich damit als besonders temperamentvolle Sexmaniacs darzustellen. Den Penisbruch gibt es tatsächlich, allerdings sehr, sehr selten, erklärt der Sexualwissenschaftler. Da muss ein Mann schon sehr verrückte Praktiken ausprobiert haben.
Denn der Penis ist auch im erigiertem Zustand flexibel und kein starres Instrument. Und wie merkt man, ob der Penis gebrochen ist? Das tut höllisch weh. Bildet sich dann noch ein großer Bluterguss, bedeutet das, dass der Schwellkörper verletzt und Gewebe gerissen ist. Man sollte in diesem Fall sofort zum Urologen gehen. Der Penis wird dann leicht stabilisiert, oder der Arzt nimmt einen kleinen Eingriff vor, um Gewebe zu flicken. Im schlimmsten Fall muss eine Penisprothese eingebaut werden. Das ist jedoch meist nur nach schweren Verletzungen, etwa durch einen Motorradunfall, nötig.
JE GRÖSSER DER PENIS, DESTO INTENSIVER DAS LUSTEMPFINDEN DER FRAU
Nein, das stimmt nicht. Die Scheide der Frau ist sehr flexibel und passt sich dem kleinen wie dem großen Penis an, so Götz Kockott. Die Lustzonen der Frau befinden sich vor allem an der Klitoris und den Schamlippen. Dabei spielt die Penisgröße überhaupt keine Rolle. Wichtig ist sie nur für das Selbstwertgefühl des Mannes.
WIE DIE NASE DES MANNES ...
... so sein Johannes, meint das Sprichwort. Ein echtes Märchen, urteilt der Sexexperte. Zusammenhänge zwischen Gesichts- und Geschlechtsmerkmalen gibt es nicht. Anatomische Parallelität ist wissenschaftlich nie untersucht worden. Und wie bereits bemerkt: Die Größe des Penis macht nicht den guten Liebhaber aus.
FRAUEN, DIE NIE WOLLEN
Früher nannte man sie einfach frigide. Meistens gibt es eine Vorgeschichte, wenn eine Frau keine Lust mehr auf Sex hat, holt Götz Kockott aus. Eine Vergewaltigung, eine große Enttäuschung, aber auch Depression oder eine schwere Krankheit rauben das sexuelle Verlangen. Oft sind also seelische Blockierungen für das Desinteresse schuld.
Andererseits ist das Bedürfnis nach körperlicher Liebe bei den Menschen sehr unterschiedlich, gibt er zu bedenken. Während manche Männer und Frauen beinahe täglich Sex haben wollen, sind andere mit einmal im Monat voll zufrieden. Nur wenn sich die Sex-Frequenz plötzlich stark ändert, sollte man einen Spezialisten aufsuchen.
MENSCHEN, DIE NIE GENUG KRIEGEN KÖNNEN
Menschen mit unersättlicher Sexgier nannte man früher Nymphomanin oder Casanova und meinte, das läge an den Hormonen. Heute weiß man, dass vor allem ein immenser Hunger nach Bestätigung und Lob, Antriebfeder dieser Männer und Frauen ist, beschreibt Götz Kockott den psychischen Mechanismus, der übergroßen Sexhunger auslöst. Möglichst viele Partner zu bekommen steigert ihr Selbstwertgefühl, oder wie der Sexualwissenschaftler ganz lapidar feststellt: Das gibt ihnen die Gewissheit Ich bin toll!
FRÜHREIFE SIND FRÜHER LUSTLOS
Das ist totaler Unsinn, wehrt der Experte ab. Im Gegenteil, es gibt eine amerikanische Studie aus dem Umfeld von Alfred Kinsey, die zeigt, dass diejenigen, die bereits in der Jugend sexuell aktiv waren, auch im Alter mehr und länger Spaß am Sex haben. Die alte Regel 5000 Schuss und dann ist Schluss gehört endgültig in das Reich der Märchen und Mythen.
WEINIGER INTELLEKT BRINGT MEHR SPASS IM BETT
Eine Volksweisheit, an der vielleicht etwas dran sein könnte. Für kopflastige Menschen, die sich nicht fallen lassen können, ist es natürlich auch nicht so einfach, sich hemmungslos hinzugeben, räumt der Wissenschaftler ein. Das soll nicht bedeuten, dass sie nicht loslassen und den Sex bedingungslos genießen können. Voraussetzung ist, dass sie ihren Intellekt in Richtung Phantasie lenken. Das ist mehr ein Problem des Nicht-locker-lassen-könnens.
APHRODISIAKA HELFEN DER LUST AUF DIE SPRÜNGE
Sellerie, Austern oder Kaviar? Es gibt eigentlich keine Aphrodisiaka, verneint Götz Kockott. Nur sexuelle Reize regen die Libido an. Dabei reagieren die Geschlechter ganz unterschiedlich. Männer sind visuell veranlagt sie reagieren vor allem auf Bilder. Für Frauen ist das Auditive wichtig sie fühlen sich durch Gehörtes angeregt, also verbale Erotik. Ob gesehen oder gehört, im Gehirn wird dadurch die Vorstellungskraft aktiviert. Denn Sex beginnt im Kopf, wie jeder weiß!
WEIBLICHE EJAKULATION
Was das Ausmaß von Feuchtigkeit durch Erregung betrifft, gibt es offensichtlich sehr große Unterschiede von Frau zu Frau, so der Experte. Bei manchen ist sie enorm, so dass man meinen könnte, es sei fast eine Ejakulation. Doch damit hat es nichts zu tun, stellt Götz Kockott klar. Es gibt also keine weibliche Ejakulation. Allerdings, so räumt er ein, erreichen manche Frauen während des Orgasmus eine sehr ausgeprägte Entspannung, die auch die Blase erreicht. Dann könnte es schon passieren, dass etwas Urin abgeht doch das ist äußerst selten.
Quelle: MSN / Focus Online