Er liebt dich! (sorry für den langen Text)
Hallo devastated1,
dein Beitrag stimmt einen als Leser schon etwas traurig. Man merkt, dass dich das Thema sehr beschäftigt und an dir nagt. Gleichzeitig habe ich mich aber gefreut, dass du schreibst eine Trennung würde nicht in Frage kommen, weil ihr euch so sehr liebt. Das lässt besten hoffen!
Jedenfalls war es mir deswegen ein besonderes Bedürfnis dir noch zu schreiben, musste allerdings warten bis ich die nötige Zeit dafür habe. Tausend Gedanken sind mir schon durch Kopf geschossen seit dein Beitrag hier zu lesen war und ich hoffe ich bekomme meine Gedanken geordnet niedergeschrieben. Deswegen bitte erst bis zum Schluss durchlesen, bevor reagiert wird ^^
Tja, wo fange ich an? Vielleicht bei dem Bild von einer guten Beziehung bzw. einer Beziehung wie sie sein soll. Man sollte sich bewusst sein, dass die Vorstellungen, die wir von einer Guten Beziehung haben, gesellschaftlich geprägt, also anerzogen sind. Quasi wird uns von anderen Menschen vorgegeben, wie es Beziehung zu sein hat. Mit dem Verständnis von Recht und Unrecht oder den Normen und Werten ist es ja genauso und das ist auch prinzipiell nicht schlecht. In allen Bereichen kommt es aber vor, dass Menschen umdenken und sich von strikten Vorgaben lösen und alternative Wege sehen, z.B. dass Steinigungen nicht unbedingt die angemessene Bestrafung für irgendwelche Verstöße ist. Als weniger dramatisches Beispiel würde ich die Ehe nehmen, die heutzutage bei weitem nicht mehr den hohen Stellenwert hat wie früher bei uns oder heute noch in anderen Ländern. Man denke mal an außerehelichen Geschlechtsverkehr oder außereheliche Kinder, wofür man vor einigen Jahren sein gesellschaftliches Ansehen eingebüßt hat.
Oder was noch weniger lange her ist, ist die gesellschaftlich diktierte Ablehnung von homosexuellen. Es war die Gesellschaft die uns dazu erzogen hat, Homosexuelle als nicht der Norm entsprechend zu betrachten.
Ich glaube manche Menschen lösen sich (obwohl ich sagen möchte "können sich lösen") deswegen von den gesellschaftlichen Vorgaben, weil weniger intensiv auf sie eingewirkt wird.
Und heutzutage scheint der Umgang zwischen Mann und Frau anders zu sein; offener, selbstbestimmter (von beiden Seiten) und freier. Ich möchte nicht sagen, dass es früher keine reinen Sexbeziehungen gab, aber ich habe das Gefühl, dass eben Sexbeziehungen, offene Beziehungen, Dreiecksbeziehungen oder ähnliches häufiger oder zumindest viel offener als früher gelebt werden. Ich glaube die Menschen verändern sich dahingehend und erkennen, dass sexuelle Befriedigung nicht zwangsweise mit Gefühlen für einen anderen Menschen einhergehen. Wir masturbieren ja auch nicht immer nur aus Liebe zur Person auf dem Bild oder im Film ;)
Das war nun eine lange Einleitung zum Fakt, dass manche Menschen ohne Liebe keinen Sex mit anderen Personen haben können, dass es aber ebenso Menschen gibt für die Sex ohne Liebe möglich ist, die Sex und Liebe sogar strikt trennen können. Nun würde man diese "Fähigkeit" beides zu trennen sicherlich eher den Männern zuschreiben (wie könnte Mann sonst zu Prostituierten gehen? - und hier sprechen wir immerhin vom ältesten Gewerbe der Welt), aber manche Frauen unterscheiden da ebenso. Reine Sexbeziehungen führen die Männern schließlich nicht nur unter sich.
Nun würde ich dich zu den Personen zählen, die Sex ganz eng mit Liebe verbinden und deinen Freund zu denen, die beides trennen können.
Wichtig ist eigentlich nur, dass man sich der unterschiedlichen Einstellungen der Menschen bewusst ist oder wird und man müsste sie anerkennen - damit meine ich nicht man müsse sie gutheißen.
Das Gute ist: Dein Freund erkennt an und akzeptiert, dass du eine engere Bindung zwischen Sex und Liebe siehst. Er bringt dir weder Unverständnis noch Wut entgegen, dass du es nicht so siehst wie er und er will sich auch nicht von dir trennen, weil du seine Einstellung nicht teilst. Ich finde das positiv von ihm :) Ich möchte das gerne hervorheben, dass auch du wieder mehr positive Sachen an ihm siehst, damit du dich ihm wieder besser annähern kannst, statt dich durch das Unbehagen, das dieses Thema mitgebracht hat, von ihm zu entfernen.
Auch sehr positiv finde ich von ihm, dass er offen mit dir über seine Fantasien, Vorstellungen und sexuellen Vorlieben zu reden scheint. Das ist tausend mal besser als sich den Kopf zermartern zu müssen, was dem Partner in sexueller Hinsicht wohl gefallen könnte, nur weil er sich nicht traut es frei heraus zu sagen.
Aber an diesem Beispiel sieht man leicht, wie schnell man in einem Dilemma steckt.
Einerseits wünscht man sich vom Partner, dass er einem vollkommen vertraut und bei uns völlig er selbst ist, absolut ehrlich und offen. Und plötzlich wird einem die Ehrlichkeit und Offenheit zum Verhängnis - dramatisch ausgedrückt. Durch die Offenheit hat man Probleme geschaffen, die vorher nicht da waren und man lernt auch in einer Beziehung Geheimnisse zu schaffen, von denen der Partner nichts erfahren wird.
Man möge mich bitte nicht falsch verstehen, ich sage nicht, dass man alles gut finden soll. Würde meine Freundin zu mir kommen und mir erzählen, dass sie gerne mal angepinkelt werden möchte, dann müsste ich ihr sagen, dass ich das nicht machen werde, weil es mir zu wider ist, aber ich wäre ihr dankbar, dass sie so ehrlich zu mir ist und mir ihre Wunschvorstellung mitgeteilt hat, dass sie mir vertraut(!).
Wenn dein Freund dir nun anvertraut hat, der er sich Sex mit anderen Frauen vorstellen könnte, dir aber auch sagt, dass er DICH liebt und mit dir zusammen bleiben will, dann müsste man sich fragen, ob man ihm vertraut. Hat er dich schon mal schwer enttäuscht oder dein Vertrauen in irgendeiner Weise missbraucht?
Falls nein, dann würde ich sagen, solltest du ihm auch hier vertrauen - und das heißt ihm glauben.
Aber warum Sex mit einer anderen, wenn er mit dir glücklich ist? Bevor ich mit einem etwas blöden Beispiel fortfahre, möchte ich sagen, dass dieses Bedürfnis zwischendurch mit Anderen Sex zu haben absolut nicht die Ausnahme oder Seltenheit darstellt. Nicht umsonst gibt es so viele Seitensprünge. Und dass Seitensprünge im Nachhinein oftmals schwer bereut werden, zeigt doch, dass ein Seitensprung eben nicht bedeutet, dass man seinen Partner nicht mehr liebt und die Beziehung mit ihm nicht mehr haben will. Eher das Gegenteil ist der Fall: Man kennt den Menschen, man hat ihn schätzen gelernt, man kennt die Stärken und Schwächen (und liebt ihn für beides), man vertraut ihm und will ihn nicht verlieren - aber trotzdem ist manchmal (plötzlich) der Reiz da, mit jemand anderes zu schlafen.
Nun zum blöden Beispiel, das einen Erklärungsversuch darstellen soll: Ich liebe Schokoladeneis über alles und kann zurecht behaupten, dass Schokoladeneis mit Abstand mein Lieblingseis ist. Eigentlich immer kaufe ich mir Schokoeis - ich liebe es! Trotzdem kommt es vor (wenn auch selten), dass ich Haselnusseis oder auch mal After-Eight-Eis esse. Aber auch wenn ich das mache, ist Schokoeis auch weiterhin mein absolutes Lieblingseis und ich würde mein Schokoeis um nichts in der Welt aufgeben wollen. Ab und an mal eine kleine Abwechslung ist aber sehr angenehm und danach freue ich mich auch wieder riesig auf mein Schokoeis.
Vielleicht klingt das blöd, aber wenn man noch mal an die obige Erklärung denkt, dass manche Menschen (sexuellen) Verlangen und Liebe trennen können, dann sieht man hoffentlich, dass es für jene Menschen eigentlich genau das Gleiche ist.
Mit der Offenbarung deines Freundes kam aber leider auch der Selbstzweifel bei dir auf. Das ist völlig nachvollziehbar und ist auch damit begründet, dass du Sex und Liebe untrennbar miteinander verbindest. Dadurch kommt es zwangsweise dazu, dass du an seiner Liebe zweifelst, wenn er sich sexuell woanders umsehen würde. Deine Selbstzweifel zu bekämpfen ist sicherlich das schwerste Problem, das ist zur beseitigen habt, aber ich möchte sogar sagen: das einzige Problem das ihr habt. Kurz dazu warum das einzige Problem:
1. er sagte dir er kann sich eine offene Beziehung vorstellen: Hier besteht kein Problem, er hat sich dir anvertraut
2. er hat Lust auf Sex mit anderen Frauen:
+ eher kein Problem, wenn man das als etwas natürliches anerkennt
+ auf keinen Fall ein Problem, weil er auch sagt er würde dir zu Liebe darauf verzichten
3. deine Frage ob ihm euer Sex nicht gut genug ist: du zweifelst an dir selbst, was sicher nicht nötig ist
Euer Sex gefällt ihm sicher sehr gut, AUCH WENN er sich mal eine andere Geschmacksrichtung beim Eis wünschen würde. Ich möchte also behaupten, dass deine Selbstzweifel unbegründet sind. Bitte finde dein Selbstbewusstsein wieder und glaube an dich! Ich hoffe, dass dir das oben beschriebene hilft ihm zu vertrauen, ihm zu glauben, dass du die richtige für ihn bist und er dich nicht verlieren will, dass er mit dir alt werden will und dass dieses sexuelle Bedürfnis nach Abwechslung eher als Nascherei zu verstehen ist und absolut nichts mit dir zu tun hat.
"Für mich heißt Beziehung und Liebe Zweisamkeit, Treue, Ehrlichkeit,..."
Ehrlich war er definitiv. Andere Menschen gehen einfach fremd und vertrauen sich dem Partner mit ihrem Bedürfnis nicht an. Das kann man ihm meiner Meinung nach richtig hoch anrechnen (so wünsche ich mir das von meiner Freundin, wenn sie mal das Bedürfnis nach einem anderen Mann hat). Dass seine Liebe zu dir nachgelassen hat, sagt er ja nicht, ganz im Gegenteil. Und Treue: "er will mich nicht verlieren, könnte sich vorstellen mit mir alt zu werden und die Beziehung nicht gefährden wollen." Er sagt es selbst: treu will er dir sein! Treue definiert sich nicht darüber, dass jemand monogam ist. Der Hund frisst auch das Futter, dass ihm der Nachbar hinwirft, aber er weiß trotzdem ganz genau wo sein zu Hause ist. Und Zweisamkeit hat man auch in einer offenen Beziehung. (Sorry, ich muss mich langsam mal kürzer fassen)
Mal ein kleiner Einblick wie andere eine offene Beziehung führen (einzelne Punkte aus verschiedenen offenen Beziehungen):
+ Sex mit Küssen ist gestattet, aber eingeschlafen und gekuschelt wird daheim (für die beiden das Wahre Zeichen von Liebe)
+ wenn einer der beiden mit jemandem Sex hatte, muss er das erzählen (auch als Anreiz um etwas neu erlebtes miteinander zu probieren)
+ (bei allen als oberste Priorität) NUR MIT KONDOM
+ mit jeder fremden Person nur ein mal Sex, keine Wiederholung
Das ganze lässt sich sicher sehr kontrovers diskutieren und ich möchte kurz erklären, dass ich versuche das alles nüchtern zu betrachten, um dir eine Hilfe zu sein. Meine primäre Absicht ist es nicht, dich von offenen Beziehungen zu überzeugen. Mein oberstes Ziel war, dir die Situation so nüchtern zu beschreiben, wie sie sicherlich ist, damit du deine Selbstzweifel bekämpfen kannst und du dich nicht unentwegt mit negativen Gedanken plagen musst, die eure Beziehung belasten. Ich würde mir wünschen, dass ihr weiterhin glücklich zusammenlebt und du verstehst, dass er ein natürliches Bedürfnis hat, welches er für dich gerne zurückstellt und du keineswegs an dir zweifel musst. Er würde dich nicht so sehr lieben und sich nicht ein langes Leben mit dir vorstellen, wenn du für ihn nicht etwas ganz besonderes wärst. Du musst doch alles richtig machen, wenn er dich so sehr liebt!!
Alles Gute euch beiden!